Im Gespräch mit Silvia Medaglia, Agile Transition Coach bei Philips
- “Diejenigen, die überleben, sind diejenigen, die sich angepasst haben”
- “Nicht mehr Peer-Banken scheinen die Hauptkonkurrenten zu sein, sondern Tech-Unternehmen, die über Daten verfügen.”
- “Wände und Whiteboards sind daher unverzichtbar.”
Diejenigen, die überleben, sind diejenigen, die sich angepasst haben.
Im Jahr 2015 war ING eines der ersten großen niederländischen Unternehmen, das den Übergang zu Agile vollzog. Silvia Medaglia arbeitete damals als Projektmanagerin bei ING und erlebte die Umstellung daher von innen heraus. Die Philosophie hinter der agilen Arbeitsweise gefiel ihr besonders gut, so dass sie ihre Karriere bei ING als Agile Transition Coach fortsetzte. Inzwischen hat sich Agile bei ING so gut etabliert, dass Silvia sich freut, ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihre Motivation in das nächste Unternehmen einzubringen. Und das ist Philips, das seit kurzem Agile einsetzt, zunächst in der Abteilung Digitales Marketing. Worauf kommt es laut Silvia Medaglia bei der Umstellung auf Agile für Unternehmen an?
Schneller umschalten können
“Die Antwort auf diese Frage lässt sich am besten durch den Bedarf beschreiben, den ING damals sah. Als Projektleiter war ich an der Entwicklung von Finanzprodukten beteiligt. Auf ‘altmodische’ Art und Weise dauerte die Konzeption und Umsetzung beispielsweise einer neuen Hypothek viel zu lange, weil verschiedene Abteilungen und damit viel zu viele Personen beteiligt waren. Schneller schalten zu können, war nicht länger ein Wunsch, sondern eine reine Notwendigkeit. ING erkannte, dass sie als Unternehmen in verschiedenen Bereichen einen Kampf verlieren würde, wenn sie den Übergang nicht wagen und sich nicht an Spotify orientieren würde. Nicht nur gegen die Konkurrenz, sondern auch in Bezug auf die eigenen Talente. Nicht mehr die Banken sind die Hauptkonkurrenten, sondern Tech-Unternehmen, die über Daten verfügen. Theoretisch könnte ein Big-Data-Unternehmen eine Bank gründen. So drehte sich das Rad radikal und ING wurde offiziell zu einem IT-Unternehmen mit Banklizenz. Und talentierte Mitarbeiter, mit der intrinsischen Motivation eines Unternehmers, erhielten nicht mehr nur Wertschätzung durch das monatliche Gehalt, sondern bekamen Verantwortung für ihre Aufgaben im Sinne des agilen Denkens. So wurde aus einem relativ langsamen, schwerfälligen Gebilde in kürzester Zeit eine flexible, agile Organisation. Die ING hat sich als Agile-Pionier eindrucksvoll in Szene gesetzt und diesen Kampf gegen die Konkurrenz dank ihres neuen “Mindsets” gewonnen. Und was für ING gilt, gilt auch für andere Unternehmen. Jede große Organisation muss sich die Frage stellen, ob man in der heutigen Zeit, in der sich die Welt in einem noch nie dagewesenen Tempo verändert, seinen potenziellen, anspruchsvollen Kunden noch maßgeschneiderte Lösungen im weitesten Sinne des Wortes anbieten und damit auch das Überleben und Wachstum der eigenen Organisation sichern kann.”
End to end
“Agile bringt Mitarbeiter aus verschiedenen Disziplinen in einem Team zusammen, darunter den IT-Entwickler, den Marketingspezialisten, den Kommunikationsspezialisten und den Vertriebsmitarbeiter. Sie werden durchgängig für das Produkt verantwortlich. Auf diese Weise werden Abhängigkeiten beseitigt, die früher Zeit und damit Geld verschlungen haben. Die Person mit dem Kundenkontakt bezieht den Kunden ein und ist ständig am Puls der Zeit. Was sind die spezifischen Wünsche des Kunden und sind sie heute noch dieselben wie gestern? Dann baut man einen Prototyp seines Auftrags, den man erweitern kann oder auch nicht – je nachdem, was der Kunde will. Die Kunden sind vielfältig: eine interne Kollegenabteilung, ein externes Unternehmen, eine Einzelperson oder eine ganze Bevölkerung. Dank verschiedener agiler Techniken findet man schnell heraus, was der Kunde genau will. Kurz gesagt, Agile ist also Agilität mit dem Ziel, maßgeschneiderte Lösungen auf Abruf liefern zu können. Denn wenn man das nicht tut, werden andere Unternehmen auf den Plan treten. Am Ende des Tages müssen gewinnorientierte Unternehmen einfach Geld verdienen.”
Walls und Whiteboards
“Als überzeugter und motivierter Agile Leader liegt das ‘Was’ und ‘Warum’ bei Ihnen und das ‘Wie’ bei den Teammitgliedern, die die eigentlichen Spezialisten sind. Der Agile-Coach sorgt dafür, dass diese neue Arbeitsweise gut anläuft und reibungslos weiterläuft. Agile bietet den Rahmen dafür und funktioniert am besten, wenn man zusammen ist. Eine einladende, inspirierende Büroeinrichtung ist daher von entscheidender Bedeutung, ebenso wie verschiedene Werkzeuge, mit denen Sie Ihre Ideen, Pläne und Fortschritte visualisieren können. Wände und Whiteboards sind daher unverzichtbar. Der größte Fehler, der bei der Wahl des Büros noch zu oft gemacht wird, ist, dass zu wenig Fläche angemietet oder genutzt wird, unter anderem für den geräumigen Obeya-Saal und für verschiedene Besprechungsräume unterschiedlicher Größe, einschließlich eines Besprechungsbereichs für effektive Stehsitzungen. Diese Meter werden wegen der interaktiven Arbeitsformen benötigt. Mit Agile bewegen Sie sich buchstäblich im Raum, was die Kommunikation zwischen Ihnen erheblich verbessert. Denken Sie nur daran, wie Sie Ihre Argumente mit Ihrer Körpersprache untermauern. Auch das Kaffeekränzchen als Treffpunkt ist nicht zu unterschätzen, denn viele Entscheidungen werden in einer entspannten Atmosphäre getroffen. Meiner Meinung nach wird die Funktion des Büros für alle, die agil arbeiten, nur noch wichtiger werden. Für die kommende Zeit erwarte ich eine gesunde Mischung aus Heimarbeit und Büroarbeit. Einige Sitzungen, wie z. B. die Besprechung praktischer Fragen unter vier Augen, lassen sich gut online durchführen. Sitzungen, bei denen es um Interaktion, Reflexion und Bewusstseinsbildung geht, können nur im Büro stattfinden, da sie eine wirkliche Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen erfordern. Das ist online nicht machbar.”
Risiko
“Die Arbeit von zu Hause aus birgt immer noch ein Risiko, über das ich mir von Zeit zu Zeit Sorgen mache. Das liegt daran, dass wir es mit sehr fähigen, introvertierten Mitarbeitern zu tun haben, denen die Arbeit von zu Hause aus mehr Spaß macht als im Büro. Die Extrovertierten hingegen werden immer ins Büro kommen. Ich rechne also damit, dass es in den Unternehmen zu einer Art ‘Spaltung’ kommen wird. Da Sie aufgrund Ihrer introvertierten Art relativ viel von zu Hause aus arbeiten, sind Sie im Büro weniger sichtbar. Aber Beziehungen werden aufgebaut, wenn man sich sieht. Introvertierte Heimarbeiter laufen daher Gefahr, in ihrem Netzwerk nicht ausreichend sichtbar zu sein. Ich hoffe, dass diese Menschen und ihre Unternehmen wachsam bleiben, denn großartige, introvertierte Mitarbeiter sollten natürlich die gleiche Chance erhalten, den nächsten Karriereschritt zu machen wie ihre extrovertierten Kollegen.”
Ehrgeiz
“Man kann Agile in jedem Unternehmen auf unterschiedliche Weise anwenden. Von einem KMU mit sagen wir 20 Mitarbeitern bis hin zu großen, internationalen Unternehmen wie Philips. Es geht um die Denkweise, nicht um die Anzahl der Mitarbeiter. Diejenigen, die überleben, sind diejenigen, die sich angepasst haben. Um zu überleben, muss man agil sein, seine Kunden kennen und das gemeinsame Ziel im Auge behalten. Ein gutes Beispiel ist die Putzfrau, die in den 1960er Jahren bei der NASA arbeitete. Sie wurde gefragt: ‘Was ist Ihre Aufgabe?’ Sie antwortete: ‘Ich bringe Menschen auf den Mond.’ Jeder NASA-Mitarbeiter wusste anscheinend genau, warum und trug wie selbstverständlich zur gemeinsamen Mission bei.”
Mit freundlicher Genehmigung von Silvia Medaglia
Coach für agile Umstellung bei Philips